Die Nationalturnerinnen Kim Bui (26) und Kim Janas (15) vom MTV Stuttgart müssen nach ihren Knieverletzungen um die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro bangen. Für beide ist es bereits der zweite Kreuzbandriss.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Die Semitendinosus-Sehne sitzt – wo bitte? Genau, am hinteren Oberschenkel. Eigentlich. Bei Kim Janas ist das jedoch anders. Die talentierte Nationalturnerin vom MTV Stuttgart trägt ihre linke Semitendinosus-Sehne im linken Knie, die rechte im rechten. Bei ihrer Vereinsgefährtin Kim Bui ist das im rechten Knie der Fall. Und im linken wird es ebenfalls bald so sein. Denn auch ihr steht – am Montag in der Stuttgarter Sportklinik – eine weitere Operation bevor, bei der das gerissene vordere Kreuzband ersetzt wird. „Turner brauchen die Patellasehne, deshalb wird bei uns die Semitendinosus-Sehne als Ersatz genommen“, sagt die 26-Jährige.

 

Kim Bui klingt fast wie eine Medizinstudentin, wenn sie profund über gerissene Bänder und alternative Sehnen redet. Dabei studiert sie Technische Biologie. Doch sie kennt sich eben auch mit Kreuzbandrissen aus. Am 10. Februar 2010 hatte sie sich schon mal am rechten Knie so schwer verletzt. Das Datum kommt wie aus der Pistole geschossen, es war ihre erste große Verletzung. „Ich war damals sehr vorsichtig in der Reha, vielleicht übervorsichtig – man hat ein besseres Bewusstsein und kann besser auf den Körper hören, wenn man das schon einmal durchgemacht hat“, sagt die amtierende Deutsche Meisterin. „Die doppelte Erfahrung hätte aber nicht sein müssen.“

Beim Sprungtraining während eines Studienpraktikums in Frankfurt hat es am 26. Mai dieses Jahres auch ihr rechtes Knie erwischt. Kim Bui experimentierte und musste dies bitter büßen: „Ich war übermotiviert – Übermut, Dummheit, da kam alles zusammen.“ Nicht nur das vordere Kreuzband riss, sondern auch das Innenband. Da dieses konservativ ohne Eingriff behandelt wurde, folgt die Kreuzbandoperation erst jetzt. Nur elfeinhalb Monate verbleiben dann noch bis zum 25. Juni des nächsten Jahres – bis zur ersten nationalen Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro im August 2016. Deshalb hat sie zuletzt auch noch am Stufenbarren trainiert und Krafttraining „bis zum Gehtnichtmehr“ gemacht, um nach der OP möglichst gut auf den Weg zurück vorbereitet zu sein.

Physiotherapie, Muskelaufbau, Laufschule

„Ich habe Olympia schon geturnt und weiß wie cool das ist, deshalb will ich das noch mal“, sagt Kim Bui. „Aber es geht auch um die Gesundheit – ich gebe in der Reha Vollgas, und dann sieht man.“ Nach der Enttäuschung als Ersatzturnerin in Peking 2008 belegte sie 2012 in London mit dem deutschen Team den neunten Platz.

Für Kim Janas wäre es in Rio ihre erste Olympiateilnahme. Sie ist gerade einmal 15 Jahre alt – und hat auch schon den zweiten Kreuzbandriss hinter sich. Im Oktober 2013 erwischte es beim Training auf dem Schwebebalken in ihrer Heimat Halle/Saale das rechte Knie: „Es war schon hart. Ich hatte eine lange Phase, in der es mir nicht gut ging.“ Nach ihrer Rückkehr schaffte sie es gleich in den Kader für die Europameisterschaften in Montpellier und gab im April ihr Debüt bei den kontinentalen Titelkämpfen. Doch beim Abgang vom Schwebebalken mit einem gebückten Doppelsalto geriet ihr linkes Knie offenbar in eine Überstreckung. Kreuzbandriss – schon wieder.

Doch sie lässt sich nicht unterkriegen. „Ich weiß, ich bin noch jung, und ich habe ein Ziel: Olympia 2016, darauf arbeite ich hin“, sagt Kim Janas. Sie ist am 20. Mai bereits operiert worden (kurz vor Kim Buis zweitem Kreuzbandriss) und arbeitet täglich nach Kräften auf ihr Comeback hin. Physiotherapie. Muskelaufbau. Laufschule. Die Orthese zur Stabilisierung trägt die Neuntklässlerin des Untertürkheimer Wirtemberg-Gymnasiums nur noch gelegentlich, „beispielsweise in der Schule, wo viele Leute sind und viel Geschubse ist“.

Mehr Narben als Wettkampfeinsätze

Die mehrmalige deutsche Jugendmeisterin gilt als Ausnahmetalent, bei den Europäischen Olympischen Jugendspielen 2013 in Utrecht wurde sie Zweite. Doch seitdem sind mehr Narben an ihren Knien hinzugekommen als Wettkampfeinsätze. So musste sie unlängst ihre Teilnahme an den Europaspielen in Baku absagen, wo das deutsche Frauenteam Silber gewann: „Als ich die Bilder gesehen habe, habe ich schon gedacht: da hättest du stehen können.“

Vielleicht haben die Kreuzbandrisse in ihrem Fall aber auch etwas Gutes – womöglich erweisen sie sich als heilsam, so paradox das zunächst auch klingen mag. Doch die allgemeine Analyse der Experten besagt, dass ihre Bänder relativ anfällig waren. Nun sind sie raus und können nicht mehr reißen. „Es ist auf jeden Fall jetzt alles komplett stabil“, sagt Kim Janas.

Obwohl die Zeit in Stuttgart bisher über weite Strecken eine Leidenzeit war, hat sie den Umzug nicht bereut: „Hier ist der beste Stützpunkt in Deutschland. Alle versuchen mich aufzubauen.“ In den Sommerferien wird sie auch nur für zwei Wochen nach Hause fahren. Länger hält sie es nicht fern der Trainingshalle aus, in die sie schon vor dem Heimaturlaub an die Geräte zurückkehren möchte – in kleinem Umfang zumindest, „damit ich wieder ein bisschen Hornhaut an den Händen bekomme“.