Beamte sind zur Mäßigung verpflichtet. Doch in zwei Fällen von fragwürdigen Äußerungen reagiert das Land sehr unterschiedlich: Ein AfD-Mann soll aus dem Dienst entfernt werden, Professoren haben nichts zu befürchten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Beide Seiten würden sich wohl heftig dagegen wehren, miteinander verglichen zu werde. Nichts scheint sie zu verbinden, alles zu trennen.

 

Da ist einerseits der Lahrer AfD-Bundestagsabgeordnete und einstige Staatsanwalt Thomas Seitz (51). Den Zustrom von Flüchtlingen hält er für eine „Invasion“, die nach Deutschland kommenden Menschen für „Migrassoren“ oder, ironisch, für „uns bereichernde Asylforderer“. Den früheren US-Präsidenten Obama nannte er einen „Quotenneger“, für den Islam hat er nur Verachtung übrig.

Da ist andererseits ein Dutzend von Professoren diverser Hochschulen, mehrere davon aus Freiburg. Sie unterzeichneten im Herbst 2017 eine Erklärung zum „Bürgerasyl“, das eine Roma-Familie vor der Abschiebung bewahren sollte. Es gelte, sie zu verstecken, auf dass sie „vor Zugriffen der Polizei geschützt“ seien. Das sei zwar „nicht legal, in diesem Einzelfall jedoch zwingend und legitim“. Wenn Appelle und Demonstrationen für ein humanitäres Bleiberecht nicht reichten, „ist ziviler Ungehorsam geboten“.

Zwei Pole in der Asyldebatte

Für die Professoren, die besonders im grünen Milieu Sympathien genießen, dürfte Seitz ein übler rassistischer Hetzer sein. Der AfD-Mann mag sie umgekehrt zu den „alles Deutsche hassenden Helfershelfern“ der Flüchtlinge zählen. Sie markieren also zwei Pole der Asyldebatte – und doch haben sie etwas gemeinsam: Der Ex-Staatsanwalt und die Hochschullehrer sind gleichermaßen Beamte, die sich bei Äußerungen mäßigen und treu zum Staat stehen müssen.

Seitz’ Attacken und das Bekenntnis der Professoren sind gewiss von unterschiedlicher Qualität. Aber beide werfen die Frage auf, wie der Dienstherr damit umgeht. Dessen Antwort ist vielleicht noch unterschiedlicher. Den Juristen soll die „Höchststrafe“ des Disziplinarrechts treffen: die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis samt Verlust der Pensionsansprüche. So will es das Justizministerium von Guido Wolf (CDU), so bestätigte es das Richterdienstgericht beim Landgericht Karlsruhe; Seitz hat Berufung eingelegt und will das Urteil durch alle Instanzen anfechten.

Rücksichtnahme auf die grüne Klientel?

Den Professoren aber passiert offensichtlich gar nichts. Aus Gründen des „Personaldatenschutzes“ gibt das Wissenschaftsministerium von Theresia Bauer (Grüne) zwar keinerlei Auskunft, doch alles deutet darauf hin, dass der Aufruf zum rechtswidrigen „Bürgerasyl“ ohne disziplinarische Folgen bleibt. Möglich wird das durch die Einstufung als außerdienstliches Verhalten. So recherchierten es die Stuttgarter Nachrichten, so wird es informell bestätigt, dafür spricht auch ein starkes Indiz: Bis heute ist die Erklärung online veröffentlicht, mit den Namen der Unterzeichner, ihren Professorentiteln und den jeweiligen Hochschulen. Universitäten sind ebenso aufgeführt wie pädagogische Hochschulen.

Misst der Staat also mit zweierlei Maß? Nimmt eine grüne Ministerin Rücksicht auf die grüne Klientel, während ein CDU-Ressortchef unerbittlich gegen einen Rechten vorgeht? Gibt es eine „politisch motivierte Diskrepanz bei der Bewertung des Verhaltens“ von Beamten, wie es im Umfeld von Seitz heißt?

Die Autorität des Amtes missbraucht?

Ganz abwegig ist ein solcher Eindruck nicht. Das beginnt schon bei der Frage, inwieweit die Beamten in beiden Fällen die Autorität ihres Amts nutzten. Was bei den Professoren offenbar verneint wurde, wird dem AfD-Mann wiederholt angekreidet. Er habe das Amt als Staatsanwalt und das „mit diesem verbundene Ansehen und Vertrauen“ gezielt im politischen Meinungskampf eingesetzt. Belege: der Zusatz „Staatsanwalt a. D.“ oder ein Foto, das Seitz mit weißem Hemd und weißer Krawatte zeigt, die Robe über dem Arm, eine Gesetzessammlung „Strafrecht“ in der Hand.

Seitz’ Gegenargument, die gut ein Dutzend inkriminierten Äußerungen seien im Wahlkampf gefallen, ließ das Gericht nicht gelten. Es attestierte ihm zwei schwere Verstöße: gegen die Pflicht zur Verfassungstreue und die Pflicht zur Mäßigung. An Einsicht mangele es ihm, Besserung lasse er nicht erwarten. Groß sei der „Vertrauensverlust“, auch wenn es keine Vorwürfe wegen seiner Arbeit als Staatsanwalt für Verkehrsdelikte gebe. Das knappe Fazit: Angesichts der Gesamtumstände sei eine mildere Maßnahme als die Entfernung aus dem Dienst „nicht geeignet“.

Wenn Beamte andere Beamte ausbremsen

Kritische Fragen hätten sich auch bei den Professoren aufgedrängt, deren Fall zuletzt die AfD im Landtag aufgriff. Titel: „Öffentliche Unterstützung strafbaren Verhaltens von Landesbeamten“. Müssten für Professoren an pädagogischen Hochschulen nicht besonders hohe Anforderungen gelten? Selbst verbeamtet, bilden sie zugleich künftige Lehrer und künftige Beamte aus, sollten also ein untadeliges Vorbild abgeben. Stattdessen sympathisierten sie offen mit einem Rechtsbruch, der einer dritten Beamtengruppe die Arbeit erschweren soll: den Polizisten. Deren Einsatz bei Abschiebungen – persönlich für viele höchst belastend – liefe dank des „Bürgerasyls“ ins Leere. Trotzdem gibt es dafür nicht einmal einen Rüffel?

Direkt bewertet niemand die Aufarbeitung durch Bauers Ressort, zu der es eben keine Angaben gibt. Indirekt kommen aus den Reihen von CDU und Polizei aber kritische Töne. Ob Beamter oder nicht – Innenminister Thomas Strobl findet es generell „nicht in Ordnung, wenn geltendes Recht hintertrieben und seine Durchsetzung behindert oder gar verhindert wird“. Die Ausreisepflicht stehe schließlich „am Ende eines langen, gründlichen, rechtsstaatlichen Prozesses“, dann müsse sie „auch durchgesetzt werden“. Auch für Hochschullehrer gelte die Meinungsfreiheit, im Rahmen ihrer Tätigkeit womöglich erweitert, meint der CDU-Fraktionsvize Thomas Blenke. Er frage sich aber schon, „welches Selbstverständnis jemand hat, der von der Gesellschaft bezahlt wird, sein Recht zur Meinungsfreiheit aus der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung ableitet und sich genau gegen diese Ordnung und die Personen, die sie vertreten, nämlich die Polizeibeamten, stellt“.

Polizeigewerkschafter argwöhnt zweierlei Maß

Auch Ralf Kusterer von der Deutschen Polizeigewerkschaft im Beamtenbund sieht den Professorenprotest kritisch. Die Nennung von Berufstitel und Hochschule zielt aus seiner Sicht auf eine „besondere Wirkung“ in der Öffentlichkeit, die der Name alleine nicht hätte. Zumindest einen gewissen „Fingerzeig“ hielte er da für angebracht. Womöglich sei die Grünen-Ministerin deshalb so zurückhaltend, weil auch zahlreiche Grüne zu den Unterstützern gehörten. Das wäre fatal, meint Kusterer, weil es „Zweifel an der neutralen Amtsführung“ nähren könnte. Auch angesichts der Vorfälle an der Beamtenhochschule in Ludwigsburg, wo sich Professoren ebenfalls vieles ungestraft herausnehmen konnten, rieche es nach einem „anderen Maßstab“ als bei den übrigen Ministerien. Harald Vogel von der Gewerkschaft der Polizei im DGB ist von der Freiburger Erklärung zwar inhaltlich nicht überzeugt, sieht sie aber „in einem zu tolerierenden Rahmen“. Für ihn ist sie „Ausdruck einer Protestkultur, die dem gegenwärtigen Zeitgeist entspricht“.

Ganz ähnlich argumentiert der AfD-Mann Seitz. Bei der Entscheidung gegen ihn, sagt er, handele es sich „ganz klar um ein zeitgeistiges Urteil“.