Der Esslinger Mittelalter- und Weihnachtsmarkt bietet kriminellen Langfingern viele Gelegenheiten, Beute zu machen. Die Polizei zeigt Präsenz – und setzt auf Aufklärung. Tendenziell werden laut Polizei eher ältere Menschen bestohlen.

Mit geschultem Blick verfolgt er das Treiben auf dem Esslinger Weihnachtsmarkt. Es dauert nicht lange, da erregt eine Gruppe älterer Frauen, die sich an einem Geschenkartikel-Stand angeregt über die Auslage unterhalten, sein Interesse. Denn eine von ihnen trägt eine große Umhängetasche leger halb über Schulter und Rücken, der Reißverschluss steht auf ganzer Länge offen. Ralf Brenner tritt von hinten an sie heran – und weist sich der überraschten Frau gegenüber schließlich als Polizeibeamter aus. „Bei Ihnen hätten Taschendiebe leichtes Spiel“, erklärt er ihr und zeigt auf den breiten Spalt ihrer Tasche, durch den ihr Portemonnaie gut zu sehen ist. Ein Griff – und weg ist es.

 

Belebte Weihnachtsmärkte wie der in Esslingen bieten nahezu perfekte Bedingungen für kriminelle Langfinger. „Gerade in den Gängen zwischen den Buden oder beim Anstehen vor besonders begehrten Ständen geht es oft sehr eng zu“, berichtet Brenner. „Das nutzen dreiste Diebe gern aus, um Beute zu machen. Es braucht nur eine geschickt inszenierte Ablenkung, und schon ist die Geldbörse weg.“ Von wegen, nur Gelegenheit macht Diebe: „Das sind Profis, die haben das gelernt“, weiß er aus seiner langjährigen Ermittlungsarbeit.

Diebe arbeiten im Team

Die Maschen der Täter kennt der erfahrene Kriminalbeamte des Reutlinger Polizeipräsidiums nur zu gut. Meist würden sie im Team arbeiten: „Einer lenkt das Opfer ab, indem er es zum Beispiel anrempelt oder um eine Auskunft, um Hilfe oder Geld bittet. Diesen Moment nutzt der Nächste, um blitzschnell Geldbörse, Handy oder Autoschlüssel aus dem Rucksack, der Handtasche oder der Kleidung zu ziehen und gibt die Beute, für andere kaum erkennbar, an den Dritten weiter. Der verschwindet damit dann in der Menge“, beschreibt Brenner das Vorgehen.

2022 wurden beim Polizeipräsidium Reutlingen, das zuständig ist für die Landkreise Esslingen, Reutlingen, Tübingen und Zollern-Alb, 198 Fälle von Taschendiebstahl angezeigt, darunter 40 Fälle im Kreis Esslingen. In diese Statistik würden auch Taschendiebstähle in Kaufhäusern, Supermärkten, öffentlichen Verkehrsmitteln, an Haltestellen oder bei Veranstaltungen einfließen. Überall dort, wo die Menschen dicht an dicht stehen, sei die Gefahr, Opfer von Taschendieben zu werden, am größten, klärt Brenner auf. Die wenigsten seien sich dessen bewusst. „Leider nutzen Taschendiebe diese Arglosigkeit aus.“

Unbedingt Anzeige erstatten

Die Fallzahlen stiegen, stellt Brenner fest und fügt hinzu: „Ich gehe davon aus, dass es eine nicht unerheblich hohe Anzahl nicht angezeigter Taschendiebstähle gibt.“ Ein Grund dafür könnte sein, dass der Diebstahl selten sofort bemerkt wird und die Betroffenen später nicht ausschließen, die Wertsachen verloren zu haben. Die Polizisten könnten jedoch gezielte Fragen stellen, um Hinweise auf die Täter zu erhalten. „Andere denken vielleicht, dass eine Anzeige nichts bringen würde. Das ist absolut falsch“, macht Brenner deutlich. Die Aufklärungsrate in diesem Deliktbereich sei zwar nicht gerade hoch: Im Jahr 2021 lag sie im gesamten Präsidiumsbereich bei 10,3 Prozent, im vergangenen Jahr sogar nur bei 6,1 Prozent. Doch so manche Straftat werde noch Monate später geklärt. Zum Beispiel, weil im Zuge anderer Ermittlungen gestohlene Gegenstände wie Ausweise und Bankkarten bei Dieben oder Hehlern sichergestellt werden. „Das ist aber nur möglich, wenn der Diebstahl bei der Polizei gemeldet wurde.“

Um potenzielle Täter abzuschrecken, zeigt die Polizei auch in diesem Jahr auf den Weihnachtsmärkten Präsenz. „Dabei werden sowohl uniformierte als auch verdeckte zivile Kräfte eingesetzt“, teilt das Reutlinger Polizeipräsidium mit. Dass Taschendiebe auf frischer Tat ertappt werden, kommt laut Brenner jedoch eher selten vor. Deshalb setzt man auf Aufklärung – und in dieser Mission ist der Kriminalbeamte vom Referat Prävention an diesem Tag in Esslingen unterwegs.

Seinem aufmerksamen Blick entgeht nichts. Er spricht eine Touristin mit Rucksack an: „Am besten nehmen Sie den nach vorn, dann haben Sie ihn im Blick“, empfiehlt er ihr. Einer anderen Weihnachtsmarktbesucherin rät er: „Tragen Sie Ihre Tasche so, dass die Reißverschlüsse zu Ihrem Körper zeigen.“ Auch für einen Herrn mit verdächtig ausgebeulter Gesäßtasche hat er einen Tipp: „Packen Sie Ihre Geldbörse lieber in die Innentasche Ihrer Jacke.“

Sind Frauen häufiger als Männer Opfer von dreisten Taschendieben? Darüber kann die Polizei keine konkreten Aussagen machen. „Es gibt diesbezüglich keine Auswertung, die in die polizeiliche Kriminalstatistik einfließt“, sagt Brenner. Tendenziell aber sei festzustellen, dass ältere Menschen eher von Straftaten betroffen seien als jüngere. „Deshalb bieten wir auch kostenlos Präventionsvorträge für Seniorengruppen an.“

Die Tipps der Polizei

Vorbeugen
Geldbeutel, Smartphone und andere Wertsachen sollte man dicht am Körper tragen, möglichst in verschiedenen verschlossenen Innentaschen der Kleidung. Nur so viel Geld und Zahlungskarten wie nötig mitnehmen. Wachsam bleiben, wenn man von Unbekannten angesprochen, abgelenkt oder angerempelt wird. Bei Kartenzahlung darauf achten, dass es Dritten nicht möglich ist, die Geheimzahl auszuspähen. Diese sollte man auf keinen Fall schriftlich mitführen.

Handeln
Bei Verlust sofort alle Zahlungskarten sperren, auch die digitalen Karten im Smartphone. Der Sperr-Notruf 116 116 ist rund um die Uhr erreichbar. Den Diebstahl der Polizei melden, sie kann die Girocard für das elektronische Lastschriftverfahren, also das Bezahlen mit Karte und Unterschrift sperren. Kontobewegungen sorgfältig prüfen – unberechtigte Abbuchungen bei der Bank oder Sparkasse sofort reklamieren.