600 Einwohner hatten die Städte nach dem Zensus weniger. Das akzeptieren sie jetzt.

Weil der Stadt/Renningen - Und auf einmal waren 607 Einwohner weg.“ Diese Erfahrung mit dem Zensus aus dem Jahr 2011, wie sie der Renninger Bürgermeister Wolfgang Faißt (Freie Wähler) hier beschreibt, haben auch viele andere Städte gemacht. In Weil der Stadt sprach man damals davon, dass ein ganzer Stadtteil in der Größe Hausens weggebrochen ist – auch hier waren es nämlich 600 Einwohner weniger. Aus diesem Grund haben unter anderem Renningen und Weil der Stadt gemeinsam mit mehr als 140 anderen Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg beim Verwaltungsgericht Stuttgart gegen den Zensus geklagt. Dabei wurde das damalige Zählverfahren angeprangert.

 

Was ist mit der Klage?

Im September 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht über den Zensus geurteilt. Im Falle von Berlin und Hamburg sei das Zählverfahren rechtens und verstoße nicht gegen die Verfassung, hieß es aus Karlsruhe. „Unser Rechtsanwalt hat uns daher empfohlen, unsere Klage zurückzuziehen“, erklärte Daniel Grömminger, der Ordnungsamtsleiter in Weil der Stadt. Einstimmig beschloss daher der Gemeinderat von Weil der Stadt, auf die Klage zu verzichten, ebenso wie auch die Gemeinderäte in Renningen und Rutesheim.

Wie kann es sein, dass Bürger einer Stadt einfach so „verschwinden“?

Verschwunden im wörtlichen Sinne sind diese Menschen natürlich nicht, doch auf dem Papier hat nicht nur Renningen nun wesentlich weniger Einwohner als gedacht. Die dortige Verwaltung hat die Einwohnerzahlen, wie in anderen Kommunen auch, zuvor auf Basis einer umfangreichen Volkszählung im Jahr 1987 berechnet. Für das Jahr 2011 kam sie damit auf 17 365 Einwohner. Das Ergebnis des Zensus lautete allerdings: 16 720 Einwohner.

Dass sie mit ihren eigenen Berechnungen so weit daneben gelegen hat, wollte die Stadtverwaltung so nicht akzeptieren. Denn zum einen weist das Melderegister der Stadt zum Mai 2011 eine Einwohnerzahl von 16 923 aus, das sind bereits 203 mehr gegenüber dem Zensusergebnis. Zum anderen bemängelt die Verwaltung die Art der Erhebung. In Kommunen mit mehr als 10 000 Einwohnern erfolgte die Zählung nur stichprobenartig, das Ergebnis ist also eine Hochrechnung. Nur etwa zehn Prozent der Haushalte wurden überhaupt befragt, der Fragebogen war zum Teil „sehr missverständlich beziehungsweise unpräzise formuliert“, bemängelt Renningen.

Warum sind die Einwohnerzahlen so wichtig?

Im Falle von Renningen haben manche Bürger schon bemängelt, dass ihre Stadt zu schnell wächst. Wo liegt also das Problem mit den verschwundenen Einwohnern? Wie immer geht es ums liebe Geld. Einwohnerverluste bedeuten für die betroffenen Kommunen nämlich weniger Einnahmen in Höhe von rund 800 Euro pro Einwohner und Jahr, im Fall von Renningen also fast 500 000 Euro – wobei ein Teil davon durch den Finanzausgleich abgefedert wird. „Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass so etwas nicht noch mal passiert“, betont Faißt.

In Weil der Stadt sind es etwa 461 000 Euro, die pro Jahr fehlen, wie der dortige Kämmerer ausgerechnet hat. (So ähnlich geht es auch Rutesheim, wie Sie hier lesen können). Hier ist zudem das politische Ziel, Große Kreisstadt zu werden, noch weiter vom Horizont verschwunden. „Der Zensus hat mir da einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagte der Weil der Städter Bürgermeister Thilo Schreiber (CDU) dazu vor fünf Jahren.

Wie geht es nun weiter?

Damit es nicht noch mal zu einer solchen Situation kommt, wollen einige Kommunen erreichen, dass sie in Zukunft eine eigene Erhebungsstelle einrichten dürfen, wie es schon im Jahr 1987 der Fall war. Speziell geht es um Kommunen mit mehr als 10 000, aber weniger als 30 000 Einwohnern. Kommunen mit bis zu 30 000 Einwohnern wurden beim 2011er Zensus zentral über den Landkreis abgewickelt.

„Es gibt noch eine weitere positive Botschaft“, berichtete Schreiber den Gemeinderäten in Weil der Stadt. Die Erfahrungen der Städte, insbesondere jenen mit 10 000 bis 20 000 Einwohnern, sollen in den nächsten Zensus miteinfließen. „Da sind unsere Vertreter im Städte- und Gemeindetag dran“, erklärte er. In der vergangenen Woche nun beschloss das Bundeskabinett, dass die Bevölkerung wieder in zwei Jahren neu durchgezählt wird. Die nächste Volkszählung solle im Mai 2021 kommen. Knapp eine Milliarde Euro kostet dieser Zensus – deutlich mehr als 2011.