Die Empörung war groß, als Islamisten kürzlich bei einer Kundgebung in Hamburg der Schriftzug „Kalifat ist die Lösung“ zeigten. An diesem Samstag geht die Gruppe wieder auf die Straße. Der Bundesjustizminister erklärt die komplizierte Rechtslage.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Wenn sich Islamisten in Deutschland positiv über das Kalifat als Herrschaftsform äußern, ist dies aus Sicht von Bundesjustizminister Marco Buschmann zwar „absurd“, aber nicht zwangsläufig ein Fall für die Justiz. „Reine Sympathiebekundung für ein Kalifat ist etwas, was ich für politisch absurd und abwegig halte“, sagte Buschmann.

 

Buschmann: Absurde Meinungen sind nicht verboten

Das Bundesverfassungsgericht habe allerdings sinngemäß festgestellt: Solange eine absurde Meinung, auch eine, die dem Grundgesetz widerspricht, einfach nur geäußert werde, ohne dass Anstalten unternommen würden, die Ordnung des Grundgesetzes dann auch zu beseitigen oder andere Rechtsgüter zu verletzen, müsse dies als Teil des geistigen Meinungskampfes ertragen werden, so Buschmann weiter.

Anders wäre es, wenn eine Terrorgruppe oder eine extremistische Vereinigung einen Satz wie „Das Kalifat ist die Lösung“ zu ihrer Losung machen würde. „Wir würden eine solche Organisation dann bei Vorliegen der entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen verbieten beziehungsweise gegen sie vorgehen“, erklärte der FDP-Politiker. Dies würde dann auch ihre Symbole betreffen. „Das ist aber heute nicht oder noch nicht der Fall.“

Neue Kalifats-Demo in Hamburg

Die islamistische Gruppe Muslim Interaktiv hat für diesen Samstagnachmittag (11. Mai) um 16 Uhr erneut in Hamburg eine Kundgebung angekündigt. Foto: dpa/Axel Heimken

Bei einer Demonstration am 27. April in Hamburg war auf Schildern der Schriftzug „Kalifat ist die Lösung“ zu lesen gewesen. In Redebeiträgen war außerdem ein Kalifat als Lösung gesellschaftlicher Probleme in islamischen Staaten gefordert worden.

Die islamistische Gruppe Muslim Interaktiv hat für diesen Samstagnachmittag (11. Mai) um 16 Uhr erneut in Hamburg eine Kundgebung angekündigt, die laut Polizei an strenge Auflagen geknüpft ist.

Faeser: „Wir setzen alle Instrumente ein“

Nach Aussage von Bundesinnenministerin Nancy Faeser haben die deutschen Sicherheitsbehörden haben die islamistische Szene in Deutschland fest im Visier. „Wir setzen alle Instrumente ein: von der nachrichtendienstlichen Beobachtung bis hin zu intensiven Ermittlungen“, unterstrich die SPD-Politikerin.

Faeser versicherte, auch jene, die Ende April auf einer Islamisten-Demonstration in Hamburg über ein Kalifat fantasiert hätten, stünden im Fokus der Sicherheitsbehörden. „Wir können in unserem Rechtsstaat solche Gruppierungen aber nur verbieten, wenn die hohen rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.“

Muslim Interaktiv als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft

Der Anmelder der Kundgebung steht nach Informationen des Hamburger Verfassungsschutzes der Gruppierung Muslim Interaktiv nahe. Diese ist als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft.

Sie gilt, ebenso wie die Gruppierungen Generation Islam und Realität Islam, als Ableger der Islamisten-Organisation Hizb u-Tahrir. Auch wenn in den drei Gruppierungen unterschiedliche Akteure aktiv seien, sei die ideologische Ausrichtung ähnlich, hieß es aus Sicherheitskreisen.

Muslim Interaktiv gilt ebenso wie die Gruppierungen Generation Islam und Realität Islam als Ableger der verbotenen Islamisten-Organisation Hizb u-Tahrir. Foto: Imago//Blaulicht-News.de

Was ist ein Kalifat?

Was ist ein Kalifat? Welche Gruppen fordern es? Und was sind ihre Ziele? Hier einige Erklärungen zu einem hochbrisanten Thema:

Nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 n. Chr. mussten die Muslime einen Nachfolger für die weltliche und religiöse Führung ihrer Gemeinschaft finden. Die erste Nachfolge (arabisch „Chilafa“) übernahm der Mohammed-Vertraute Abu Bakr bis zum Jahr 634. Mit drei Nachfolgern gehört er zur Gruppe der vier „rechtgeleiteten“ Kalifen.

Während der Kalif zunächst nur als Nachfolger des Propheten galt, setzte die Familie der Umajjaden später die Doktrin durch, wonach er auch Stellvertreter Gottes auf Erden sei. Die Umajjaden errichteten ab 660 in Damaskus die erste Kalifen-Dynastie.

Später wurden sie von den Abbasiden in Bagdad abgelöst. Zum Teil gab es innerhalb der islamischen Welt mehrere Herrschaften. Neben den Abbasiden behaupteten die Umajjaden seit Ende der 920er Jahre ein Kalifat in Andalusien.

1924: Auflösung des letzten Kalifats

Zu den Aufgaben von Kalifen gehörte zum Beispiel die Festigung des islamischen Reiches. Sie waren unter anderem Gesetzgeber, setzten Normen für das religiöse Leben und schufen Verwaltungsstrukturen. Zentrum der islamischen Welt war ab 750 Bagdad unter Herrschaft der Abbasiden.

Die Mongolen eroberten die Stadt im 13. Jahrhundert. Von 1534 an gehörte sie zum Osmanischen Reich. Der Titel des Kalifen hatte in der Folgezeit einen unterschiedlichen Stellenwert. Nach dem Ende des Osmanischen Reiches löste die türkische Regierung unter Präsident Mustafa Kemal Atatürk 1924 das letzte Kalifat auf.

2014: Ausrufung des Kalifats durch den Islamischen Staat

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ging aus einem Ableger des Terrornetzwerks El-Kaida im Irak hervor. Sie bezeichnete sich lange als Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis). Im Juni 2014 riefen die Islamisten in den von ihnen eroberten Gebieten in Syrien und im Irak ein Kalifat aus. Dieser Gottesstaat sollte sich vom Irak bis zum Mittelmeer erstrecken.

Erster Kalif des neuen Gottesstaates wurde Abu Bakr al-Bagdadi. Der 1971 im irakischen Samarra geborenen al Bagdadi war von Mai 2010 bis zu seinem Tod am 27. Oktober 2019 Anführer der dschihadistisch-salafistischen Terrororganisation.

Was sind Islamisten?

Der Begriff Islamismus vereinigt zahlreiche Organisationen, die für den weltweiten Terrorismus im Namen des Islam stehen. Die Attentäter des 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington gehörten dieser Ideologie an, die für einen extremen religiösen Fanatismus und kompromisslosen Einsatz von Gewalt steht.

Das Bundesinnenministerium definiert den Islamismus so: „Islamismus ist eine extremistische Bestrebung. Sie richtet sich gegen den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte, seine Normen und Regeln. In Abgrenzung zur Religion Islam bezeichnet der Begriff Islamismus eine religiös verbrämte Form des politischen Extremismus.“

Was ist der Salafismus?

Der Salafismus ist so eine radikale Ideologie, welche die geistige Rückbesinnung auf einen aus ihrer Sicht ursprünglichen, unverfälschten Islam propagiert. Ursprünglich wollte diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandene Reformbewegung den Islam modernisieren und durch Rückbesinnung auf traditionelle Werte stärken. Doch inzwischen steht der Salafismus für einen islamistischen Neo-Fundamentalismus, der die gesamte moderne - und vor allem westliche - Welt als Feind betrachtet.

Was ist der Dschihadismus?

So unterschiedlich und untereinander verfeindet Gruppen wie Ansar al-Scharia, Boko Haram, Islamischer Staat, Jemaah Islamiyah, Hamas, El Kaida oder die Hisbollah-Miliz auch sind, sie alle laufen unter dem Oberbegriff Dschihadismus.

Im Dschihad, dem Heiligen Krieg und gewaltsamen Kampf zur Verteidigung des Islam gegen Ungläubige (zu denen auch andere Muslime gezählt werden), sehen sie eine religiöse Verpflichtung eines jeden Gläubigen.

Ideologische Vorläufer dieser extremistischen Strömung sind der im 18. Jahrhundert entstandene Wahhabismus, die Mitte des 20. Jahrhunderts in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft sowie die 1941 in Pakistan entstandene Organisation Jamaat-e-Islami.

Was ist die Hizb ut-Tah?

Die pan-islamistische Bewegung Hizb ut-Tahrir wurde im Jahr 1953 von dem palästinensischen Rechtsgelehrten Scheich Taqi ad-Din an-Nabhani, einem ehemaligen Mitglied der ägyptischen und palästinensischen Muslimbruderschaft, gegründet.

Ziele der Hizb ut-Tahrir sind laut nordrhein-westfälischem Innenministerium die Wiedereinführung des 1924 abgeschafften Kalifats und die Errichtung eines islamischen Staats unter Führung eines Kalifen. Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns soll die Scharia sein. Säkulare Staatsformen wie Demokratien – auch in Deutschland – stehen hierzu im Widerspruch und werden bekämpft. In Deutschland gilt seit 2003 ein Betätigungsverbot.

„Die Hizb ut-Tahrir ist zwar verboten, aber das Gedankengut dieser Vereinigung lebt weiter“, erklärte NRW-Innenminister Herbert Reul, zum Beispiel durch „Muslim Interaktiv“, „Generation Islam“ und „Realität Islam“. „Die verbreiten offen ihre krude Forderung nach einem Kalifat auf deutschem Boden. Über das Netz erreichen sie viele, vor allem junge Leute. Das halte ich für brandgefährlich.“