Immer mehr Falschmeldungen machen in den sozialen Medien die Runde. Sie sind eine Gefahr für die Demokratie.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Wenn Falschnachrichten auf die Realität treffen, kann das fatale Folgen haben. Im US-Wahlkampf wurde im Internet das Gerücht gestreut, die Demokratin Hillary Clinton und ihr Wahlkampfchef John Podesta würden von der Pizzeria Comet Ping Pong aus einen Kinderpornoring betreiben. Die Falschmeldung verbreitete sich unter dem Schlagwort „Pizzagate“ auf rechten Seiten und in sozialen Netzwerken. Vor wenigen Tagen betrat ein 28-Jähriger die Pizzeria und begann, um sich zu schießen – weil dort Kinderschänder verkehren würden, wie er sagte.

 

Im Wahlkampf in den USA spielte das Internet nicht nur in diesem Fall eine unrühmliche Rolle. Beide Lager nutzten das Internet und insbesondere die sozialen Netzwerke für unglaubliche Schmutzkampagnen. Inzwischen glauben manche, der Ausgang der US-Wahl sei durch die oft zweifelhaften Aktivitäten im Netz entschieden worden. Doch welche Macht hat das Internet tatsächlich? Wir beantworten hier die wichtigsten Fragen.

Hat Russland in den US-Wahlkampf eingegriffen?

Das erscheint vielen nicht unwahrscheinlich, zumal Russland in der Vergangenheit immer wieder versucht hat, gezielt die öffentliche Meinung in anderen Ländern zu beeinflussen. Die „Washington Post“ hatte unter Berufung auf interne CIA-Unterlagen berichtet, dass Insider mit Verbindungen nach Moskau die Enthüllungsplattform Wikileaks mit gehackten E-Mails der Demokratischen Partei versorgt hätten, um der Kandidatin Hillary Clinton zu schaden. Technisch ist das möglich, doch der Kreml dementiert. Derartige Schlussfolgerungen des US-Geheimdienstes CIA seien „unbegründet, unprofessionell und amateurhaft“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau.

Welche Formen von russischer Propaganda gibt es in Europa?

Die Propagandamaschine lief im Fall der Krim-Annexion auch in Europa auf Hochtouren. Jüngst prangerte sogar das Europaparlament die antieuropäische Propaganda Russlands in der EU und ihrem Umfeld an. Die russische Regierung setze zahlreiche Instrumente ein, um die EU auch in deren Mitgliedstaaten zu verunglimpfen und damit den eigenen Einfluss zu stärken, heißt es in einer Erklärung. So unterstütze Moskau rechtsextreme, populistische und europafeindliche Parteien in Europa. Auch über den mehrsprachigen Fernsehsender Russia Today sowie „Informationsagenten“ und soziale Netzwerke versuche Russland, Einfluss auszuüben. Dafür gebe Moskau erhebliche Beträge aus – öffentliche Gelder oder Zuschüsse von Unternehmen und Organisationen, die vom Kreml kontrolliert würden. Pseudo-Nachrichtenagenturen und -Multimediadienste wie Sputnik, soziale Medien und Trolle würden mit dem Ziel eingesetzt, demokratische Werte infrage zu stellen. Die Propaganda sei darauf ausgerichtet, Wahrheiten zu verzerren, Mitgliedstaaten zu entzweien und eine Spaltung zwischen der EU und den USA herbeizuführen, heißt es im Papier des Parlaments. Besonders stark sei die Propaganda in den östlichen Nachbarländern der EU. Dort seien die nationalen Medien oft schwach und nicht in der Lage, sich gegen den Einfluss russischer Sender durchzusetzen.

Welche Wirkung haben Fake-News?

Falschmeldungen gab es schon immer, aber erst im Zeitalter der sozialen Medien entwickeln diese gezielt gestreuten Fake-News ihre mächtige Wirkung. Experten zufolge haben manche zweifelhaften Nachrichten im US-Wahlkampf Millionen von Amerikanern erreicht. Auf Facebook seien einige Geschichten mehr als 200 Millionen Mal angeklickt worden. Wie gelingt es, in so kurzer Zeit so viele Menschen zu erreichen? Falschmeldungen entfalten ihre Wucht erst, wenn sie viele Tausend Mal geteilt werden. Hier kommen sogenannte Social Bots ins Spiel – kleine Programme, die Informationen sammeln und sogar verbreiten. Mit Social Bots kann man den Nutzern im Internet vorgaukeln, dass sich viele Leute für die entsprechenden Angebote interessieren. Die Bots sind in der Lage, Links anzuklicken und Inhalte zu generieren. Nicht hinter jedem Profil im Internet muss auch ein Mensch stehen. Automaten betreiben eigene Profile mit Bild, Namen und wenigen Angaben. Sie sind so programmiert, dass sie Argumente streuen und politische Diskussionen beeinflussen können. Im letzten US-Wahlkampf spielten Social Bots eine große Rolle. So hat der zukünftige Präsident Donald Trump Wahlkampfhilfe von Automaten erhalten. Laut einer Studie der Oxford University wurde nach der ersten TV-Debatte am 26. September mehr als jeder dritte Tweet (37,2 Prozent) pro Trump von einem Software-Roboter abgesetzt. Bei Hillary Clinton lag der Bot-Anteil „nur“ bei 22,3 Prozent.

Wird das Internet auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen?

In Deutschland geht die Sorge um, dass Hacker die Bundestagswahl beeinflussen könnten. „Wir müssen unsere Cyber-Abwehr auch darauf ausrichten, die Bundestagswahl als freie Wahl zu schützen“, sagt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Aus diesem Grund sei die Cyber-Abwehr bei den Nachrichtendiensten verstärkt worden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat einen Schulterschluss der Parteien angeregt, um gemeinsam gegen den Einsatz von Social Bots zu kämpfen. Absprachen über eine gemeinsame Linie gebe es aber „bislang nicht“, erklärt CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der den Einsatz von Bots für die eigene Partei ausschließt. Beim Koalitionspartner SPD würde man damit auf offene Ohren stoßen: „Die sozialen Medien werden in unserem Wahlkampf eine wesentliche Rolle spielen. Aber den Einsatz von Bots lehnen wir ab“, sagt SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. Linke und Grüne sagten dem „Spiegel“, sie würden auf Social Bots im Wahlkampf verzichten. Unklar ist der Kurs der AfD. Alice Weidel, Bundesvorstandsmitglied der Partei, hielt es anfangs für fortschrittlich, auf die Hilfe von Social Media zu setzten: „Selbstverständlich werden wir Social Bots in unsere Strategie im Bundestagswahlkampf einbeziehen“, zitiert sie der „Spiegel“. Diesen Satz hat sie mittlerweile wieder zurückgenommen: „Jedoch werden wir natürlich keine Social Bots einsetzen, die auf Seiten Dritter im Namen der AfD automatisiert posten.“ Was tun Twitter und Facebook? Inzwischen geben auch die großen Social-Media-Plattformen zu, dass Falschmeldungen ein Problem sind.

Hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg die Rolle seiner Plattfom bei der Verbreitung von Fake News anfangs noch kleingeredet, hat er nun eingelenkt und erklärt, dass Facebook bessere technische Systeme installieren wird, die Inhalte als falsch erkennen. Konkret überarbeitet werden soll eine Funktion, die Nutzern ähnliche Inhalte zu einem Artikel anzeigt, den sie gelesen haben. Außerdem will der Konzern enger mit Journalisten und Faktencheck-Seiten zusammenarbeiten. Twitter hat ebenfalls reagiert. Der Konzern bestätigte, er habe in den vergangenen zwölf Monaten rund 360 000 Konten gesperrt, die problematische Inhalte verbreitet hätten. Um falsche News ausfindig zu machen, setzt Twitter vor allem auf Nutzerbeschwerden. Mehr Mitarbeiter seien jetzt mit der Aufgabe betraut, Meldungen zu überprüfen. Darüber hinaus benutzt Twitter eine Anti-Spam-Technologie, die wiederholt auffällige Nutzer identifiziert – einschließlich jener, die nach der Schließung eines Accounts ein neues Profil erstellen.