Nach einem Jahr endet das Instagram-Projekt @ichbinsophiescholl. Es hat Kritik gegeben, zuletzt von Jan Böhmermann, für die Macher war es eine Herausforderung – zahlenmäßig allerdings ein voller Erfolg.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Die Skepsis war groß. Kann man NS-Geschichte auf einem Kanal wie Instagram erzählen? Ist da nicht programmiert, dass Inhalte verflacht und letztlich die Verdummung befördert wird? Und vor allem: Wer will solche kurzen Schnipsel überhaupt anschauen? Leicht hatte es das Projekt „Ich bin Sophie Scholl“ nicht, als es im vergangenen Jahr an den Start ging. Selbst beim SWR und dem BR, die das Projekt gemeinsam initiiert hatten, gab es reichlich Murren und Stirnrunzeln. Bis zum Schluss gab es Kritik – zuletzt von Jan Böhmermann in seinem „Neo Magazin Royal“ im ZDF.

 

752 000 Follower – und zahllose Kommentare

Nun endet das Projekt, das für die Macher vor allem sehr viel mehr Aufwand bedeutete als gedacht – aber nur deshalb, weil es trotz aller Einwände zahlenmäßig ein Erfolg wurde. 752 000 Follower haben zuletzt die Lebensgeschichte von Sophie Scholl verfolgt, in Hochzeiten waren es sogar 820 000. Die meisten Follower waren in ihren Zwanzigern, also genau jene, die die Öffentlich-Rechtlichen immer schwerer erreichen. Hier blieben sie dabei, obwohl sie einen langen Atem brauchten. Es wurde in Etappen erzählt. Am 9. Mai, dem Datum von Sophies Geburtstag, startete der erste Teil und zeigte, wie sie von Ulm nach München zog, um dort zu studieren.

Seit diesem Tag 2021 wurden permanent neue Posts veröffentlicht, und man konnte im Lauf der Monate in Echtzeit miterleben, wie sich dieses junge Mädchen zur Widerstandskämpfer entwickelte – bis zu ihrer Verhaftung und ihrer Hinrichtung. Es wurde unterschiedliches Material montiert: Es gab Spielszenen, aber auch historische Fotos, Illustrationen und Videos, Nachrichtenmeldungen oder Propagandamaterial.

Bei der Fiktionalisierung erlaubte man sich allerdings manche Unschärfe im Umgang mit der Geschichte, die die Historikerin Maren Gottschalk aber für ebenso zulässig hält wie der Verzicht auf Quellenangaben der Posts. Gottschalk hat das Material gesichtet und Szenen herausdestilliert. Danach wurden Dialoge geschrieben und ein sogenannter Contentplan erstellt, nach dem nun über die zehn Monate hinweg die Inhalte ausgespielt wurden. Das war das Ungewöhnliche, sagt Nina Englert, „es war nicht von Anfang an durchgeplant“. Sie ist stellvertretende Redaktionsleiterin bei der Produktionsfirma Vice Media und musste schon bald feststellen, dass zwei Personen viel zu wenig sind, um die Inhalte täglich auf Instagram zu veröffentlichen. Denn die Reaktionen der Zuschauer waren enorm. Alles, was Sophie tat, wurde kommentiert, es kamen Fragen zu historischen Themen, dann wieder schrieben Menschen, die selber im Krieg waren oder als Kinder fliehen mussten. Andere berichteten über die Erlebnisse ihrer Großeltern während des Nationalsozialismus, was wiederum Kritik hervorrief, weil Täter mitunter als Opfer dargestellt würden.

Die Macher hätten nicht mit diesen vielen Reaktionen gerechnet. „Dieses Interesse war für uns absolut überraschend“, sagt Englert. Dass die Resonanz groß war, hat mehrere Gründe. Luna Wedler, die man aus der Netflix-Serie „Biohackers“ oder „Blue my Mind“ kennt, hat die Sophie Scholl gespielt, trat aber eher wie eine Videobloggerin auf und erzählte aus der Ich-Perspektive über ihr Leben in Nazideutschland. Viele Szenen hat sie mit einer Art Selfie-Stick selbst gefilmt, so, wie man es von Influencern heute kennt.

Luna Wedler als Sophie Scholl

Unabhängig von manch berechtigter Kritik, historische Fakten mit einer solchen Instagram-Ästhetik weichzuspülen, ist „Ich bin Sophie Scholl“ zugleich bemerkenswert, weil hier nicht wie üblich ein Team etwas produzierte und den Zuschauern präsentierte, sondern sich das Projekt mit dem Publikum weiterentwickelte. Die Reaktionen flossen direkt in die nächsten Posts ein. „Wenn etwas nicht verstanden wurde, konnte man etwas nachschieben“, so Englert, „wenn Kritik kam, haben wir sie aufgenommen.“ Eine neue Form des Erzählens, die stärker die Perspektive des Publikums berücksichtigt. Deshalb mussten das Budget während der Laufzeit auch erhöht und das Team aufgestockt werden. „Wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass das sonst nicht funktioniert“, sagt Englert, denn eine Frage wie „Sieht Sophie ihre Eltern noch mal wieder?“ wollte man möglichst sofort beantwortet. Nur bei intensiveren historischen Recherchen nahm man sich etwas mehr Zeit.

Das Budget musste erhöht werden

So ist die Bilanz ambivalent – und wird wie bei mancher Geschichtsverfilmung auch „Ich bin Sophie Scholl“ der Historie nur bedingt gerecht. Andererseits scheint es zum Teil durchaus gelungen zu sein, jüngere Menschen anzusprechen. „Ich muss sagen, ich lese oft nach euren Posts was nach. So vieles, das ich nicht wusste“, hat jemand geschrieben. Andere wünschten Sophie bei ihren Aktionen alles Gute – „Und pass auf dich auf!!“ Auch das war eine Gratwanderung, dass die Nutzer und Nutzerinnen Sophie auf eine Weise für real hielten: „Hey Sophie“, schrieb jemand, „ich finde deinen Einsatz wirklich total mutig.“ Nina Englert ist trotzdem überzeugt: „Die Leute wissen, dass es eine historische Person ist, aber sie lassen sich auch auf die Figur ein.“ Letztlich hat man dieser zwei Perspektiven sogar forciert und auf die Kommentare mit verschiedenen Absendern geantwortet – Fakten wurden erkennbar vom Redaktionsteam beantwortet, alles andere im Namen von Sophie.

Weitere Projekte könnten folgen

Am 22. Februar jährt sich der Todestag von Sophie Scholl, deshalb endet das Instagram-Projekt nun. Die fiktionalisierte Geschichte wurde bereits mit der Verhaftung abgeschlossen, „danach sind wir in Realdokumentation übergegangen und haben Sophie nicht mehr selber sprechen lassen“, sagt Englert. Auch ihre Bilanz ist gemischt. „Ich kann mir ein solches Projekt gut mit anderen historischen Figuren vorstellen“, sagt sie – mit einer Einschränkung: Es sollte nur über zwei, drei Monate laufen, länger nicht.

Das Leben der Sophie Scholl im Instagram-Format

Nachschauen
Die einzelnen Posts von @ichbinsophiescholl sind zu Videos zusammengefasst, die weiterhin auf Instagram angeschaut werden können.

Bilanz
Am 23. Februar findet um 19 Uhr ein Gespräch mit der Schauspielerin Luna Wedler und am 24. Februar um 15.30 Uhr mit der Historikerin Maren Gottschalk und dem Schauspieler Hugo David Schmitz statt auf Instagram unter @ichbinsophiescholl.