Über Jahrzehnte war die CSU mit ihren absoluten Mehrheiten etwas Herausragendes. Jetzt hat die Erosion der Volksparteien auch die Christsozialen voll erwischt, kommentiert Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Es waren zwei Gleichungen, deren Gültigkeit christsoziale Parteiführer und Ministerpräsidenten über Jahrzehnte behauptet haben: „Bayern ist die CSU“ und „Die CSU ist Bayern“. Damit ist es vorbei. Das bayrische Volk hat die anmaßende Gleichsetzung von Partei und Staat an diesem Sonntag abgewählt – auf längere Zeit, vielleicht sogar für immer.

 

Im bayrischen Landtag sitzt jetzt ein bunter Haufen Abgeordneter, in dem die stärkste Fraktion nach einem oder sogar mehreren Koalitionspartnern suchen muss. Ist das nicht ganz normal und wenig aufregend? Andernorts schon. Für die seit 1962 mit absoluter oder fast absoluter Mehrheit regierende CSU ist es eine Katastrophe. Sie war ein Solitär, etwas Einzigartiges. Daraus leitete sie Machtansprüche und Mitspracherechte ab, die weit über Bayern hinausgingen. Tempi passati.

Zwei ganz unterschiedliche Wahlsieger: AfD und Grüne

Der CSU sind nach ihrem Schlingerkurs der letzten Monate ganz unterschiedliche Gruppen gleichzeitig abhandengekommen: die Rechtskonservativen allerorten, die Bodenständigen auf dem Lande und das ökoliberale Bürgertum in den Städten. Deshalb gibt es zwei große Gewinner dieser Wahl, die unterschiedlicher nicht sein könnten: AfD und Grüne.

In Bayern ist also nicht, wie vorher von einigen befürchtet, die politische Mitte implodiert. Es hat keinen simplen Rechtsruck gegeben – auch wenn die AfD jetzt nur noch bei der Hessenwahl in zwei Wochen reüssieren muss, um in allen deutschen Landtagen zu sitzen. Zu besichtigen allerdings ist eine dramatisch starke Erosion an der wohl letzten Partei in Deutschland, die sich mit vollem Recht als „Volkspartei“ bezeichnen durfte. Die CSU beschreitet einen Weg abwärts, auf dem CDU und SPD bereits mit einigem Vorsprung unterwegs sind.

Ende der christsozialen Selbstherrlichkeit

Auf den letzten Metern des Wahlkampfes mahnte die CSU verzweifelt, wer ihr nicht die Stimme gebe, sorge für instabile, wenn nicht gar für „Berliner Verhältnisse“. Was den CSU-Anführern wie ein großes Übel erscheint, ist für die übergroße Mehrheit der Bayern offensichtlich eine Verheißung. Sie wollen, trotz der unbestreitbaren historischen Erfolge der Christsozialen, ein Ende der Alleinherrschaft, der Selbstherrlichkeit und der Diadochenkämpfe.

Für diese Makel stehen CSU-Chef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder gleichermaßen. Keiner der beiden kann sich von Schuld freisprechen, auch wenn beide schon vor dem Wahlabend genau dieses versuchten – jeweils mit dem Finger auf den anderen zeigend. Der irrlichternde Seehofer sollte nun abtreten, als Parteivorsitzender wie als Bundesinnenminister. Er hat auch bundespolitisch genug Schaden angerichtet. Söder müsste es ihm eigentlich gleichtun nach diesem desaströsen Wahlergebnis. Ihn kann allenfalls retten, dass weit und breit in der CSU keine vergleichbare Führungsfigur zu sehen ist und mit Seehofer ein prachtvoller Sündenbock zur Verfügung steht.

Alle drei Parteien der großen Koalition taumeln

Alle drei Parteien, die in Berlin die große Koalition bilden, sind bis ins Mark erschüttert. Die CSU wird ihre bundespolitische Rolle, ihr Verhältnis zu Angela Merkel neu definieren müssen. Im Moment versuchen die Bayern gleichzeitig Regierung und Opposition zu sein. Seehofer und Söder haben einen Landtagswahlkampf gegen die eigene Kanzlerin geführt. Ein solches Experiment hatte vor wenigen Jahren schon der niedersächsische Sozialdemokrat Sigmar Gabriel gegen seinen Kanzler Gerhard Schröder gewagt und verloren.

Die SPD hat von der CSU-Strategie in Bayern nicht profitiert. Im Gegenteil: Sie wurde vom Wähler marginalisiert. Fast verzweifelt hofft die Parteiführung im Willy-Brandt-Haus, dass die Hessenwahl für sie weniger katastrophal ausgeht. Angela Merkel ihrerseits baut darauf, dass Volker Bouffier trotz großer Stimmenverluste wenigstens den Posten des Ministerpräsidenten in Wiesbaden für die CDU verteidigt. Sollte dies nicht gelingen, wird in der Union ein Sturm losbrechen.