Russlands Vertreter verbreiten bei öffentlichen Auftritten verbissen ihr Feindbild. In dieser Erzählung sind sie Opfer, nicht Täter.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Verachtung des Kremls für den Westen nimmt geradezu manische Züge an. Die Vertreter aus den USA oder der EU werden von russischen Politikern wahlweise als schwach, unfähig oder frei von Moral diskreditiert. In dieser Kerbe schlug am Freitag auch Sergej Lawrow. Der russische Außenminister warf zum Abschluss des OSZE-Treffens in Nordmazedonien seinen westlichen Gesprächspartnern „Feigheit“ vor.

 

Spott für die Kollegen aus dem Westen

Direkt angesprochen waren US-Außenminister Antony Blinken und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Sie seien vorzeitig abgereist und hätten das direkte Gespräch mit ihm über den Krieg in der Ukraine gescheut, spottete Lawrow. „Sie glauben wahrscheinlich, dass sie damit ihre Absicht unterstreichen, Russland zu isolieren. Aber ich finde, dass sie einfach feige sind, sie haben Angst vor jedem ehrlichen Gespräch mit Fakten“, sagte Lawrow in Skopje.

Mit seinem Auftritt folgte Lawrow einem inzwischen bekannten Muster. Mehr als 21 Monate nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine nutzen russische Vertreter öffentliche Auftritte oft, um dem Westen die Schuld an den völlig zerrütteten Beziehungen zuzuschieben und ihm angeblich mangelnde Dialogbereitschaft vorzuwerfen. Moskau sieht sich in der Rolle des Opfers, nicht des Täters.

Sergej Lawrow kneift vor Annalena Baerbock

Lawrow wollte sich bei dem Treffen in Skopje allerdings selbst keiner unangenehmen Diskussion stellen. Als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ans Mikrofon trat, verließ er den Saal. „Stoppen Sie das unsägliche Leid, das Sie über Millionen von Menschen bringen“, forderte Baerbock und schob die bissige Bemerkung hinterher, dass der Vertreter Russlands offensichtlich nur im Saal sei, „wenn er selbst spricht, aber nicht, um anderen zuzuhören“.

Größte Verärgerung herrscht im Kreml inzwischen offensichtlich über Deutschland, das auch in den Reden von Präsident Wladimir Putin immer wieder Ziel des Spotts wird. Bei einer Diskussion mit jungen Wissenschaftlern über Energieimporte, klassifizierte der Kreml-Herrscher die Politiker in Berlin in diesen Tagen als Vasallen ihrer „Verbündeten“. Sein Fazit: Deutschland sei kein souveräner Staat. Außerdem seien die hochrangigen Regierungsbeamten zu schlecht ausgebildet, um „qualitativ hochwertige Entscheidungen“ zu treffen, zitiert ihn die russische Nachrichtenagentur Tass. Die ganze Welt lache über sie, schließt Putin.

Der Kreml mit einer neuen Doktrin

Als Grund allen Übels hat die Kreml-Führung die USA ausgemacht. Bereits im Frühjahr hatte Moskau aus diesem Grund eine neue außenpolitische Doktrin verabschiedet. „Wir sehen, dass durch die Handlungen unfreundlicher Staaten unsere Sicherheit und Entwicklung existenziell bedroht ist“, sagte Außenminister Lawrow im März bei der Präsentation in Moskau. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind direkt als Hauptinitiator und Förderer der antirussischen Linie genannt. Zu den erwähnten „unfreundlichen Staaten“ gehören Dutzende Länder und neben den USA auch Polen, Großbritannien – und Deutschland.

Russland arbeite, im Gegensatz zur US-Dominanz, an der Schaffung einer multipolaren Weltordnung, betont der Kreml. Diesem Ziel ist Außenminister Lawrow bei der OSZE-Konferenz in Skopje allerdings nicht nähergekommen. Fast alle Staaten verurteilten den Überfall Moskaus auf Kiew scharf. Selbst auf dem sogenannten „Familienfoto“ aller Konferenzteilnehmer ist Lawrow nicht zu sehen – offensichtlich war der Vertreter des Kremls unerwünscht.