Gottschalk beklagt bei „Wetten, dass . .?“, er redete im Fernsehen inzwischen anders als zuhause. Zumindest in der letzten Ausgabe der Kultsendung darf er unwidersprochen raushauen, was ihm durch den Kopf geht. Vom Studiopublikum wird er dafür gefeiert wie eh und je.

Das Logo, der Schriftzug, die Studiofarben, die Witze, selbst Gottschalks goldene Locken: Fast alles in der Baden-Arena in Offenburg, von wo am Samstagabend ein letztes Mal „Wetten, dass . .?“ mit Thomas Gottschalk live gesendet wird, atmet den Geist der 1990er Jahre. Zu Beginn der Show stellt Gottschalk klar, dass die Sendung keinesfalls eine „öffentliche Grablegung“ werden, sondern den Zuschauern einen lustigen Abend bescheren soll. Doch obwohl das stellenweise gelingt, zeigt sich, wie sehr sich Konzept und Moderator überholt haben.

 

Keine Frage, für das ZDF ist die Rechnung aufgegangen: Einmal mehr beweist der Sender, dass man mit Nostalgie Quotenrekorde landen kann. 12,13 Millionen Menschen sehen ab 20.15 Uhr zu, ein Marktanteil von 45,3 Prozent. Die erste Revival-Show aus Nürnberg hatte 2021 13,8 Millionen Menschen vor den Fernseher gelockt, die zweite Neuauflage aus Friedrichshafen erreichte rund 10,1 Millionen Menschen.

Gottschalk heizt die Stimmung in der Halle vor der Sendung persönlich an

Noch bevor es richtig losgeht, lässt es sich Gottschalk nicht nehmen, die Stimmung im Studio persönlich anzuheizen. Locker und scharfzüngig entlockt er der Menge einen Lacher nach dem nächsten. „Du bist wahrscheinlich jünger als ich, gut dass man es nicht sieht“, heißt er eine Frau im Publikum willkommen. Die einen mögen das lustig finden, andere empfinden es als plump.

Es seien die vielen Wettkandidaten mit ihren skurrilen und genialen Ideen gewesen, die „Wetten, dass . .?“ erfolgreich gemacht hätten, sagt eingangs der Erfinder der Show, Frank Elstner, und verspricht einen „unvergleichlichen Abend“.

An diesem Samstag geht es aber, wie sollte es anders sein, vor allem um den Mann, der 154-mal durch die Sendung geführt hat und wie kein anderer für die bundesrepublikanische Fernsehkultur steht. Um sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, bei der Abschiedsshow der „Legende Gottschalk“ (Elstner) live dabeizusein, haben sich tatsächlich 70 000 Menschen für eine der rund 2000 Karten beworben, die vom ZDF für fast 100 Euro verlost wurden. „Ich kann ja nix dafür, dass Sie mit mir die besten Zeiten Ihres Lebens verbinden“, ruft er seinem Publikum zu Beginn der Sendung zu. Dabei dürfte ein Großteil die goldenen Jahre der Show nur aus Erzählungen kennen.

Auch dieses Mal gab es zahlreiche Verhaspler

Schon bei der letzten Ausgabe wirkte Gottschalk fahrig und unkonzentriert, und auch dieses Mal gibt es viele Versprecher, die zu Internet-Memes verarbeitet werden. „Ich weiß auch noch, wer kommt“, sagt der Moderator selbstironisch bei der Anmoderation seines ersten Gastes, Matthias Schweighöfer, und bezeichnet ihn prompt als „Matthias Schweinsteiger“. Später erscheint der echte Schweini in Begleitung von Gattin Ana Ivanovic und wird vom netten Grüßonkel als „Bastian Schweigsteiger“ angekündigt.

Immerhin an die Wetten kann er sich problemlos erinnern. Die sind, da behält Elstner recht, tatsächlich recht originell. Da ist der sympathische Horst Freckmann, der Hähne an ihrem Schrei erkennt. Der vierzehnjährige Felix May, der auf dem Skateboard fahrend mit der Spitze seines Schutzhelms im Handstand Kaubonbons in Colaflaschen drückt, erobert die Herzen des Publikums. Die Hündin Amie erkennt Zahlen von eins bis hundert. Antonia Fleig und Michelle Chevalier versuchen, mit einem Gabelstapler ein Handy zu verkabeln. Bei der Außenwette ziehen acht Schweizer eine Seilbahn zehn Meter den Berg hinauf. Und Julia Reichert erkennt tatsächlich anhand von Strichcodes verschiedene „Wetten, dass . .?“-Sendungen vergangener Jahrzehnte.

Auf der Couch gibt es den üblichen Promitratsch

Auf der Couch gibt es den üblichen Promitratsch: Man erfährt, dass Schweinsteiger zu Hause gerne den Ton angibt, Cher ab und an Schuhe kauft, Schweighöfer sich in Hollywood auskennt und so weiter. Einen absoluten Tiefpunkt erreicht die Sendung, als Gottschalk sich zu einer pauschalen, ernst gemeinten Politikschelte hinreißen lässt: „Bergab geht’s sogar in der Schweiz von alleine. Wir brauchen die Hilfe der Politik in Deutschland dazu, dass es bergab geht“, haut er tatsächlich raus.

An anderer Stelle zeigt er sich verwundert, dass gutes Aussehen und Feminismus keine Gegensätze sein müssen. Ernsthaft? Die steile These, Social Media sei ein Ort der Authentizität und Teilhabe, wie Influencerin Lena Mantler behauptet, wirft ihn endgültig aus der Bahn. Nach diesen Momenten fällt der Abschied von den 1990ern nicht schwer, als Gottschalk noch vor Mitternacht von einem Bagger aus der Halle gefahren wird.