Die Sozialistin Rosa Luxemburg, vor hundert Jahren in den Revolutionswirren nach dem Untergang des Kaiserreichs ermordet, bleibt bis heute eine umstrittene Figur der deutschen Geschichte. Der gewaltsame Tod hat das Bild von ihr im Rückblick verklärt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - An diesem Sonntag wird Ostberlin zur Zeitmaschine: Am Frankfurter Tor werden rote Fahnen wehen und womöglich wieder Banner mit den Porträts von Lenin und Stalin zu besichtigen sein. Das hat mit einem Pilgerzug zu tun, dessen Ziel der Zentralfriedhof im Stadtteil Friedrichsfelde ist. Dort liegt Rosa Luxemburg begraben, die letzte Heilige der Linken. Sie wurde am 15. Januar 1919 ermordet.

 

Was damals geschah: Luxemburg, eine Schlüsselfigur der wenige Tage zuvor gegründeten Kommunistischen Partei und des Anfang 1919 angezettelten Spartakusaufstandes gegen die neue Republik, wurde in Wilmersdorf verhaftet und in das Eden-Hotel verschleppt, wo die Garde-Kavallerie-Schützen-Division ihr Hauptquartier hatte. Beim Abtransport ins Untersuchungsgefängnis Moabit wurde sie von rechtsradikalem Militär erschossen, ihre Leiche in den Landwehrkanal geworfen. Als unmittelbar verantwortlich für den Fememord gilt der Hauptmann Waldemar Pabst. Er wurde niemals angeklagt. Später behauptete Pabst, der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske, nach eigenen Worten Bluthund der neuen Regierung, habe die Tat indirekt gebilligt.

„Hoher Symbolwert für Linksextremisten“

Rosa Luxemburg und das Gedenken an ihren gewaltsamen Tod habe „nach wie vor einen hohen Symbolwert für den deutschen Linksextremismus“, so der Verfassungsschutz in einer Expertise von 2008. Luxemburg gilt als Märtyrerin der damals missglückten Revolte, als Opfer einer verräterischen Sozialdemokratie.

Die 1871 in Polen geborene Sozialistin war seit 1898 Mitglied der SPD. Im Ersten Weltkrieg wandte sie sich vehement gegen deren Politik des Burgfriedens. Luxemburg verkörpert die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung. Sie war eine treibende Kraft der Linksradikalen, die sich Ende 1918 als KPD formierten, wandte sich aber gegen unverantwortliches Revoluzzertum ihrer Genossen und gegen deren Absicht, die erste Wahl der Weimarer Republik zu boykottieren. Zudem kritisierte sie die Diktatur der russischen Bolschewisten.

Auch in Stuttgart wird erinnert

Rosa Luxemburg bleibt bis heute eine umstrittene Gestalt der deutschen Geschichte. Die nach ihr benannte Stiftung der Linkspartei rühmt sie als „brillante Autorin und klarsichtige Theoretikerin, mitreißende Rednerin und engagierte Politikerin, lyrische Chronistin und streitbare Genossin“. Der Ermordung vor hundert Jahren wird bundesweit in mehr als 40 Veranstaltungen gedacht. Ende Januar gibt es auch im Stuttgarter Gewerkschaftshaus eine Ausstellung zu ihrem Gedenken.

Luxemburgs berühmtester Satz wurde erst nach ihrem Tod veröffentlicht: „Freiheit ist immer die Freiheit des andersdenkenden.“ Er war auf die Verhältnisse in Sowjetrussland gemünzt. Die Mahnung lässt die Sozialistin wie eine Liberale erscheinen. Ihre legendären Worte, so beklagt die gleichnamige Stiftung jedoch, „wurden enteignet, in eine antisozialistische Parole umgedeutet“.

Am Ende hat sie kapituliert

Eine Liberale war diese Frau keinesfalls. Sie habe „jahrzehntelang auf eine revolutionäre Situation in Deutschland hingearbeitet“, schreibt Ernst Piper in der aktuellsten Luxemburg-Biografie. Die Novemberrevolution von 1918 habe sie aber als eine Situation erlebt, „bei der es nichts zu gewinnen gab“. Rosa Luxemburg habe letztlich vor dem putschistischen Abenteurertum in ihrer Partei kapituliert, sagt der Historiker Heinrich August Winkler. „Die ermordeten kommunistischen Führer trugen in hohem Maße die Verantwortung für das Blut, das in den Januarkämpfen (1919) vergossen wurde.“ Wäre Rosa Luxemburg nicht ermordet worden, so Winklers Kollege Eckhard Jesse, „hätte wohl kaum jene geradezu panegyrische Verehrung eingesetzt“.

Huldigungen wurden ihr freilich nicht immer zuteil. Als Stalin bei den Kommunisten den Ton angab, wurde ihr Denken als „Syphilis der Arbeiterbewegung“ geschmäht. Durch ihren gewaltsamen Tod habe sich ihr Bild im Rückblick verklärt, so die Historikerin Christina Morina. Selbst SPD-Chefin Andrea Nahles, so berichtet die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, habe unlängst eingeräumt, dass der Sozialdemokrat Noske bei Luxemburgs Ermordung wohl „seine Hände im Spiel hatte“. Nahles habe Luxemburgs Erbe für die SPD reklamiert. Entsprechende Nachfragen im Willy-Brandt-Haus blieben unbeantwortet.