Die Fachwelt rät der großen Koalition zu einer großen Reform. Nun ist es an Merkel sie zu verwirklichen, kommentiert Christopher Ziedler, der Leiter unserer Berliner Redaktion.

Berlin - Angela Merkel will wieder Klimakanzlerin werden. Geht ihre Koalition über einer verhinderten EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, miserablen Landtagswahlergebnissen im Osten oder einem „NoGroKo“-Votum auf dem nächsten SPD-Parteitag nicht vorzeitig in die Brüche, möchte die Kanzlerin zum Ende ihrer Amtszeit hin das ganz große Rad drehen. Nichts weniger als ein ökologischer Umbau der Bundesrepublik steht auf dem Programm, wenn das Kabinett Mitte September zusammentritt. Die neue Klimaschutzgesetzgebung soll, wenn Merkel am Ruder bleibt, ihr letztes großes politisches Projekt werden.

 

Anspruchsvoll ist es, in Deutschland ein CO2-Preisschild aufzustellen. Klimaschutz ist per Definition keine rein nationale Angelegenheit, weshalb sich die Entscheidung in die globalen Anstrengungen, mindestens aber in jene der Europäischen Union einfügen muss. Die volkswirtschaftliche Herausforderung ist immens: Neben der Chance, Umweltverkaufsschlager von morgen zu entwickeln, existiert das Risiko, mit falschen Weichenstellungen die Wirtschaft abzuwürgen. Nicht zuletzt geht es um soziale Gerechtigkeit: Wie wird vermieden, dass der finanziell schwächere Teil der Gesellschaft wegen steigender Energiepreise keinen Urlaub mehr machen kann, während Bessergestellte den CO2-Aufschlag locker verkraften und weiter um die Welt jetten?

Fridays-for-future bekommt Recht

Von den vielen Studien, auf deren Basis Merkel & Co. entscheiden wollen, ist das jetzt übergebene Gutachten des Sachverständigenrats das wichtigste. Es liest sich wie eine Abrechnung mit der bisherigen Energiepolitik, die bei hohen Kosten die eigenen Klimaziele verfehlt. Kleinteilig, ineffizient, teuer – die fünf Weisen geben den demonstrierenden Schülern der Fridays-for-Future-Bewegung Recht, die großen Anteil am Umdenken in Berlin haben.

Wohin führt es? Einen wissenschaftlichen wie koalitionsinternen Konsens gibt es dazu, dass die Tonne Kohlendioxid auch im Verkehrs- und Gebäudebereich etwas kosten soll. Union und SPD sind sich zudem einig, das schon jetzt unübersichtliche, teils in sich widersprüchliche Steuersystem nicht noch um eine weitere Abgabe ergänzen zu können: Im Gegenzug müssen Sprit- und Stromsteuer oder die Erneuerbare-Energien-Umlage gesenkt oder am besten ganz abgeschafft werden.

Im zentralen Streitpunkt, ob das richtige Instrument die von der SPD favorisierte CO2-Steuer oder der von der Union befürwortete Emissionshandel ist, gibt der Sachverständigenrat eine erfreulich klare Antwort: Mittelfristiges Ziel muss es sein, den EU-weiten Handel mit Verschmutzungsrechten auf die Verkehrsträger und das häusliche Heizen auszuweiten – nur dieses nach Anlaufschwierigkeiten gut funktionierende System garantiert Erfolg, da es anders als die Steuer nicht die Kosten definiert, sondern die erlaubte CO2-Menge. Der marktwirtschaftliche Ansatz sorgt zudem dafür, dass Treibhausgas dort eingespart wird, wo es am günstigsten ist.

Eine Übergangslösung muss her, bis Europa gemeinsam handelt

Weil all das bei der gegenwärtigen Zerrissenheit der EU auf die Schnelle nicht zu haben ist, muss in einer Übergangszeit national oder mit einer europäischen Koalition der Willigen gehandelt werden. Auch hier plädieren die „Weisen“ eher für den Zertifikatehandel, räumen aber ein, dass eine CO2-Steuer schneller umzusetzen und wirksam wäre. Als Gegenleistung soll es für die Bürger entweder eine Steuerentlastung an anderer Stelle oder eine direkte Klima-Rückerstattung geben.

Die Grundrichtung gibt die Wissenschaft somit vor, entschieden werden muss politisch. Dabei kommt es in erster Linie auf die Kanzlerin an, die aus ihrer nur dem Namen nach großen Koalition eine wirklich große Reform herausholen muss. Es wäre ein Klimawunder einer wieder auferstandenen Klimakanzlerin.