Bern hat Brüssel zuletzt reichlich brüskiert. Nun sucht die Schweiz wieder die Annäherung, doch Europa hat gerade ganz andere Probleme.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Europa verändert sich im Zeitraffer. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat sogar in der sonst so schwerfälligen Europäischen Union eine Kaskade von zuvor unvorstellbaren Entscheidungen ausgelöst. In dieses atemlose Ringen um Krieg oder Frieden platze jüngst eine Mitteilung aus Bern. Man sei nun bereit, die Sondierungen über die zukünftigen Beziehungen der Schweiz zur EU zu beginnen, hieß es. Die Verantwortlichen in Brüssel staunten nicht schlecht und den Eidgenossen wurde signalisiert, dass dieses Problem im Moment nicht die allerhöchste Priorität genieße.

 

Die Schweiz steht im politischen Abseits

Zum ersten Mal bekam die Schweiz deutlich zu spüren, wohin sie sich zuletzt selbst manövriert hatte: ins Abseits. Denn während in Brüssel die Staats- und Regierungschefs zusammen mit ihren Ministern in einer geradezu hektischen Abfolge von Gipfeltreffen die Geschicke Europas bestimmen, dürfen Vertreter aus Bern nicht einmal am Katzentisch platznehmen. Für Verärgerung sorgte bei der EU zudem, dass die geschäftstüchtige Schweiz als Drehscheibe für russische Milliardengeschäfte erst auf massiven internationalen Druck hin Wirtschaftssanktionen gegen Moskau verhängte.

Schon lange regt sich die Kritik in der EU, dass die Eidgenossen vor allem ihre eigenen Interessen verfolgen und die Union darauf Rücksicht genommen hat. Die Schweiz nimmt zwar weitgehend am EU-Binnenmarkt teil, ist allerdings nicht Mitglied er Europäischen Union. Um diesen bisweilen komplizierten Schwebezustand zu beenden, wollte die EU eine engere Bindung des Landes an die Union erreichen. Dazu war in jahrelangen, mühsamen Verhandlungen ein Rahmenabkommen ausgehandelt worden, das die bisherigen bilateralen Verträge zusammenführen sollte. Das Leben wäre für beide Seiten wesentlich einfacher geworden.

Bern bricht die Verhandlungen mit der EU ab

Kurz vor dem Abschluss tanzte die Schweiz dann plötzlich aus der Reihe. Die Regierung in Bern verweigerte im vergangenen Jahr die Zustimmung. Sie sah zu viel Widerstand in den Kantonen und fürchtete, dass das Vertragswerk per Referendum gekippt werden könnte. Die EU war konsterniert. Ein Ausweg wäre, dass alle bilateralen Abkommen einzeln aktualisiert werden, worauf sich die Europäische Union allerdings nicht einlassen will. Das heißt, dass die einzelnen Vertragsteile veralten und irgendwann nicht mehr anwendbar sind.

In diesen Tagen nun wurde die Berner Staatssekretärin Livia Leu in Brüssel vorstellig, um erste Sondierungsgespräche durchzuführen. Sie gab einen Einblick, wie sich die Schweiz die künftigen Beziehungen mit der Union vorstellt. Zuvor hatte Bundespräsident Ignazio Cassis erklärt, dass das neue Paket „die ganze Palette der Beziehungen mit der EU“ abdecken soll. Die Schweiz strebe etwa ein Binnenmarktabkommen und eine Regelung bei Strom und Lebensmittelsicherheit an sowie Assoziierungsabkommen in den Bereichen Forschung, Gesundheit und Bildung.

Die EU reagiert sehr zurückhaltend

Die ersten Reaktionen aufseiten der EU sind allerdings mehr als zurückhaltend. „Diese vage Positionierung bleibt hinter der geforderten ‚politischen Roadmap‘ zurück, auf die sich die europäische Kommission und Bundesrat im November 2021 in Brüssel verständigt hatten“, kritisiert Andreas Schwab, Europaparlamentarier und Vorsitzender der EU-Delegation für die Beziehungen zur Schweiz. Ihm ist der Vorstoß auch schlicht zu allgemein gehalten und der deutsche Politiker fordert aus diesem Grund „eine Präzisierung, wie die Schweiz sich die Ausgestaltung in jedem Abkommen genau vorstellen würde“.

Kopfschüttelnd wurde in Brüssel auch die Aussage Bundespräsident Ignazio Cassis aufgenommen, dass die Schweiz zwar Sondierungsgespräche anstrebe, die genauen Optionen vor dem Beginn von Verhandlungen jedoch zuerst mit den Kantonen und Sozialpartnern abgesprochen werden müssten. Im Klartext: die Schweizer Staatssekretärin Livia Leu war mit leeren Händen nach Brüssel gekommen. Dennoch hörte sich die EU die Vorschläge geduldig an, schon allein das wurde unter diesen Umständen in Bern als Erfolg verzeichnet.