Eine neue Studie, die die evangelische Kirche selbst in Auftrag gegeben hat, hat Erschütterndes hervorgebracht. Die Zahlen bei den Kirchenaustritten dürften steigen.

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Auch in der evangelischen Kirche sind Kinder und Jugendliche in großem Ausmaß Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Am Donnerstag wurde in Hannover die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegebene Studie über Missbrauch in den eigenen Reihen vorgestellt. Demnach ist das Ausmaß größer als angenommen. Die Studie macht spezielle Risikofaktoren in der evangelischen Kirche für Missbrauch aus. Zudem bescheinigt sie der Kirche eklatante Mängel im Umgang mit Betroffenen.

 

In der Studie ist von mindestens 2225 Betroffenen und 1259 mutmaßlichen Tätern die Rede. Dabei betonten die Forscher, dass dies nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“ sei, weil vor allem Disziplinar-, kaum aber Personalakten eingesehen wurden. Der an der Studie beteiligte forensische Psychiater Harald Dreßing kritisierte eine „schleppende Zuarbeit“ aus den 20 Landeskirchen. In einer von Dreßing als „sehr spekulativ“ bezeichneten Hochrechnung ergebe sich eine Zahl von mehr als 9000 Betroffenen bei geschätzt rund 3500 Beschuldigten. Bislang war nur bekannt, wie viele Betroffene sich in den vergangenen Jahren an die zuständigen Stellen der Landeskirchen gewandt haben. Nach Angaben der EKD waren das 858.

Studie nicht mit der der katholischen Kirchen vergleichbar

Mit der bereits 2018 vorgelegten Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche, die 3677 Opfer und 1670 mutmaßliche Täter ermittelte, sind die Zahlen wegen der verschiedenen Datengrundlagen nicht vergleichbar. Zudem umfasst die Studie über die evangelische Kirche anders als die der katholischen auch den Bereich der Diakonie. Die EKD hatte das Forschungsvorhaben vor drei Jahren beauftragt, mit dem Wunsch, mehr über Ausmaß und mögliche strukturelle Ursachen von Missbrauch zu erfahren.

Aus Sicht von Experten dürfte sich die Krise der Kirchen dadurch noch verschärfen. Religionssoziologe Detlef Pollack sagte:. „Es betrifft vor allem diejenigen, die von der Kirche viel halten und die selber in der Kirche sind“, sagte Pollack am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Die wird es überraschen, für die ist es schmerzlich und erschütternd.“ Als Folge rechne er mit weiterhin hohen Kirchenaustrittsraten auch aus der evangelischen Kirche. Wie aber tritt man aus?

Wer ist zuständig?

Wie man vorgeht, hängt vom Wohnort ab. In Baden-Württemberg ist das Standesamt zuständig. In allen anderen Bundesländern auch, mit Ausnahme von Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Dort sind es die Amtsgerichte. Erklärt werden kann der Austritt auch bei einem Notar.

Muss man den Austritt erklären?

Nein, begründen muss man den Austritt nicht. Um auszutreten, müssen Kirchenmitglieder persönlich vor einer staatlichen Stelle erscheinen – online aus der Kirche austreten geht (bislang) nicht. Verheiratet können den Austritt im Ehe- oder Lebenspartnerschaftsregister eintragen lassen, auf die Befreiung von der Kirchensteuer hat das keinen Einfluss. Der Austritt wird erst wirksam, wenn die Erklärung bei der zuständigen Stelle eingegangen ist.

Welche Dokumente benötigt man?

Folgende Dokumente sind bei der Erklärung notwendig:

  • ein Personalausweis oder Reisepass mit Meldebescheinigung
  • möglicherweise Familienstammbuch, Geburtsurkunden Ihrer Kinder oder Ehe-/Lebenspartnerschaftsurkunde, wenn für diese der Austritt beantragt werden soll
  • Bargeld (bis zu 60 Euro für die Gebühren)

Kostet der Austritt etwas?

Ja. Im Südwesten legen die Gemeinde und Städte diese Gebühr fest. In der Regel werden zwischen 6,50 und 75 Euro verlangt.

Was gibt es sonst noch zu beachten?

Die Behörde stellt eine Bescheinigung aus. Diese sollte gut aufbewahrt werden – da beispielsweise Forderungen des Finanzamts zur Kirchensteuer damit abgewendet werden können. Nach dem Tag, an dem die Niederschrift unterzeichnet wurde, ist der Kirchenaustritt wirksam.

Zum Ende des laufenden Monats des Austritts wird dann auch keine Kirchensteuer mehr fällig. Das Einwohnermeldeamt und das Finanzamt informieren die zuständige Stelle, die auch Ihren Arbeitgeber über Ihren Austritt informiert.

Was spricht für einen Verbleib in der Kirche?

Die Kirchensteuer ist vor allem für diejenigen viel, die schon wenig im Geldbeutel haben. Und die Steuer zu sparen ist verlockend. Aber, es gibt auch Nachteile bei einem Kirchenaustritt. Für den einzelnen kann sich das ganz konkret auf den Beruf auswirken: Die Kirchen in Deutschland sind unter anderem Träger von Krankenhäusern, Altenheimen, Schulen und Kindergärten sowie sozialen Einrichtungen. In diesen Einrichtungen gilt ein besonderes Arbeitsrecht, das es den kirchlichen Trägern erlaubt, bei der Besetzung von Arbeitsplätzen Kirchenmitglieder zu bevorzugen bzw. Nichtkirchenmitglieder auszuschließen.

Wer kirchlich heiraten möchte muss, wenig verwunderlich, Mitglied in der Kirche sein. Bei Taufe und Konfirmation bzw. Firmung wünschen die Kirchen, dass beide Eltern Mitglieder der Kirche sind. Auch auf eine kirchliche Beerdigung kann in der Regel nur hoffen, wer zu einer der Kirchengemeinschaften gehört.

In erster Linie kommen die Kirchensteuern aber der Allgemeinheit zu Gute. Viele Menschen, die beispielsweise psychische Probleme haben, in Lebenskrisen geraten, keine Wohnung haben oder vor Krieg und Terror fliehen, werden in kirchlichen Einrichtungen betreut und aufgefangen, die zur Diakonie oder Caritas gehören.