Filmemacherinnen unterliegen oft der Erwartung, feministische Inhalte zu vermitteln. So auch die Französin Maïwenn: Sie zeichnet in „Jeanne du Barry“ das Leben einer berühmten Mätresse Ludwigs XV. nach – mit ihr selbst und Johnny Depp in den Hauptrollen.

In der Wanne entspannt ein Buch zu lesen ist heute nichts Besonderes. Im 18. Jahrhundert mussten manche Zeitgenossen im Bad jedoch sehr umsichtig sein, wie der Fall des Arztes und Politikers Jean Paul Marat belegt. In der historischen Romanze „Jeanne du Barry“ der französischen Filmemacherin Maïwenn geht es zwar nicht um diesen blutrünstigen Nasszellen-Mord, immerhin aber um einen schweren Übergriff. In der betreffenden Szene liegt die lesehungrige Protagonistin Jeanne mit einem Buch im Zuber, wird dann aber von ihrem Liebhaber und späterem Pro-forma-Gatten Graf du Barry (Melvil Poupaud) mitsamt ihrer Lektüre unter Wasser gedrückt.

 

Ein Buch als Luxusgut

Das bei der Attacke völlig durchnässte Buch ist für die unehelich geborene Tochter einer Näherin und eines Mönchs ein Schatz, ein schwer erschwingliches Luxusgut, ein Fluchtvehikel aus einer Welt, in der Menschen, insbesondere Frauen, mit niedrigem sozialen Status keine Perspektive jenseits eines engen Erwartungshorizonts besaßen – wenn sie denn überhaupt lesen konnten. Die Bedeutung dieses Übergriffs übersetzt sich allerdings nur ins Hier und Jetzt, wenn man solche zeittypischen Hintergründe mitdenkt. Man könnte sonst auch lapidar mit den Achseln zucken, Jeanne solle sich eben einen neuen Schmöker kaufen.

Kein feministischer Film nach aktueller Lesart

Die Distanz historischer Stoffe zur Realität des modernen Publikums kann zum Problem werden, wenn aktuelle Themen, Maßstäbe, Ideen und Begriffe auf eine Vergangenheit angewendet werden, die nach eigenen Gesetzen funktioniert. Im Fall von Maïwenns „Jeanne du Barry“ etwa spielte noch vor der Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes eine Rolle, dass Johnny Depp den Part des französischen Königs Ludwig XV. übernahm, kurz nachdem er den öffentlichen, sehr hässlichen Verleumdungsprozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard gewonnen hatte.

Maïwenn hingegen wurde kritisiert, sie zöge in Personalunion als Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin ihres Films eine One-Woman-Show ab. Aufgrund ihrer frühen Ehe im Alter von 16 Jahren mit dem doppelt so alten Regisseur Luc Besson gilt sie ohnehin als schillernde Figur. Von Maïwenn erwarteten manche nun ein klares feministisches Statement im Rahmen ihres Films, der die fast märchenhafte Romanze einer Mätresse und eines Königs nachzeichnet im vorrevolutionären Frankreich, mit seiner opulenten Mode, den obszön kostbaren Innenraumausstattungen und den eleganten Sichtachsen zentralperspektivisch angelegter Schlossparks.

Natürlich ließe sich diese Geschichte modern und kritisch erzählen, man muss es aber nicht. Ein feministischer Film nach aktueller Lesart ist „Jeanne du Barry“ dann auch nicht geworden. Im Gegensatz zu Giorgios Lanthimos’ bissigem Historiendrama „The Favourite“ (2018) über die Ränke und lesbische Liebe von Königin Anne oder zu Sofia Coppolas poppigem Rokoko-Biopic „Marie Antoinette“ (2006) unterzieht Maïwenns „Jeanne du Barry“ die verbürgte Historie mit bitterem Ende keiner Neubewertung. Noch viel weniger interessiert sich die Filmemacherin für politische Kontexte, die den Plot inhaltlich beschweren könnten. Der Fokus liegt auf den Charakteren, auf ihren Versuchen, innerhalb standesgemäßer Grenzen Freiheiten zu finden.

Freiräume vom Hofzeremoniell

Jeanne gelingt das beim Lesen von delikater Literatur, weshalb sie als junges Mädchen aus dem Kloster geworfen wird, in das sie ihr Vormund gesteckt hatte, später im Ausleben ihrer Sexualität, die damals kirchlicher, vor allem männlicher Kontrolle unterliegt. Der König hingegen entdeckt in der Freundschaft mit Jeanne Freiräume vom Hofzeremoniell und setzt sich für sie ein, erzählt Maïwenn, wenngleich sie ihm nicht ebenbürtig sein kann. Die Königstöchter Adélaïde (India Hair) und Victoire (Suzanne de Baecque) agieren haarscharf an der Karikatur vorbei als lustig eindimensionale Zicken, die Jeanne den Platz an der Seite ihres Vaters nicht gönnen und ihr deshalb den Krieg erklären, während Tochter Louise (Capucine Valmary) an der Gehässigkeit am Hof verzweifelt und freiwillig ins Kloster zieht.

Süffige Unterhaltung mit emanzipatorischem Kern

Es ist bemerkenswert, wie sich Jeanne in dieser feindlichen Umgebung mit Witz und Anstand behauptet und dem launischen Monarchen nicht nur Bettgenossin, sondern aufrichtige Freundin wird – das ist vielleicht kein feministischer, immerhin aber ein emanzipatorischer Kern der vor allem auf süffige Unterhaltung angelegten Erzählung. Wenn Jeanne vor ihrem ersten Kontakt mit dem König einer intensiven Inspektion ihrer Intimregion unterzogen wird, von gleich zwei Gynäkologen und im Beisein des königlichen Kammerdieners, braucht es keinen gesonderten Hinweis, wie entwürdigend sich diese Prozedur wohl auch damals schon angefühlt haben muss.

Jeanne du Barry. Frankreich 2023. Regie: Maïwenn. Mit Johnny Depp, Maïwenn, Benjamin Lavernhe. 117 Minuten. Ab 12 Jahren.